Protokoll der Diskussion zu Hans Henning und Eva Hahns Histo-Art-Lesung zu Walter Lippman: Public Opinion

Donnerstag, 9. August 2019

Protokoll: Gerd Behrens

Die Diskussion begann mit der Feststellung, dass wir mit unserer Definition des Stereotyps gar nicht sehr weit vom Verständnis Lippmans entfernt sind. Bei Lippman ist allerdings die Bedeutung von Emotionen nicht so deutlich herausgestellt, sie ist jedoch angelegt. Bei Lippman wird die Wirkung von Stereotypen eher als interner kognitiver Prozess dargestellt. Jedoch ist auch die Wirkung und Kommunikation von Stereotypen bei Lippman wiederzufinden und erinnert an Foucault Verständnis des Diskurses. Ein Unterschied liegt hier darin, dass bei Foucault ‚Sprache‘, bei Lippman ‚Bilder‘ im Vordergrund stehen.

In der Diskussion wurde versucht, Sprache und Bilder voneinander abzugrenzen. Erwähnt wurde beispielsweise, dass auch Bilder durch Sprache ausgestaltet werden. Hans Henning Hahn gab zu bedenken, dass Sprache als wissenschaftlicher Begriff zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht den selben Stellenwert hatte, wie zur Zeit von Foucault. Erneut wurde in der Diskussion festgestellt, dass es ohne Sprache keine Bilder und auch keine Stereotype gibt. Das Stereotyp wirkt nur über Sprache, denn es wirkt nur innerhalb einer Gruppe, muss also kommuniziert werden. Letztendlich ist dieser Unterschied der Vorgehensweise – über Sprache oder über Bilder – unerheblich, da man sich dem Phänomen des Stereotyps auf verschiedene Weisen annähern kann. So hat sich Adam Schaff dem Problem auch über die Wirkung von Bildern genähert.

Es wurde festgestellt, dass sich Diskursanalyse und Stereotyp nicht trennen lassen. Stereotypenforschung wird seit 25 Jahren über Diskursanalyse betrieben. Die Begriffe und Methode kommen zwar aus verschiedenen Richtungen. Sie passen offensichtlich zusammen.

Weiter wurde in die Diskussion eingebracht, dass Stereotypen über Konnotationen funktionieren. Es wurde behauptet, dass das Element der Konnotation auf alle Verallgemeinerungen zutrifft, jedoch sind nicht alle Verallgemeinerungen Stereotypen, oft fehlt die emotionale Aufladung. Diese ist auch bei Lippman angelegt. So wird der Angriff auf die persönlichen Stereotypen eines Menschen als ein Angriff auf das ‚unser‘ persönliches Universum verstanden. Lippman glaubte nicht daran, dass es ein ‚allgemeines‘ Universum gab. Dies schließt sich an das moderne Verständnis des Konstruktivismus an, wonach die Wahrnehmung einer ‚realen‘ Welt nicht möglich ist, sondern sie dem Individuum nur als Ergebnis der eigenen Wahrnehmung zugänglich ist.

Sprache, so wurde festgestellt, ist nicht identisch mit ‚Realität‘, sie konstruiert lediglich die Welt. Auch Bilder sind Konstrukte, so schließt sich der Kreis.

In der Histo-Art-Lesung wurde der Wikipedia-Artikel über ‚Stereotypen‘ vorgelesen. Dort wurde behauptet, Stereotypen stünden in einem Spannungsfeld zur ‚Wahrheit‘. Ein erheblicher Teil der Diskussion wurde mit der Frage verbracht, inwieweit dies zutrifft und was dies für uns bedeutet. Festgestellt wurde, dass wir uns bewusst machen müssen, dass auch wir stereotypisieren. Dementsprechend wurde auch von Lippman eine ständige Selbstreflexion gefordert. Nicht nur die anderen haben Stereotype, sondern wir auch, nur andere. Dies spielt für unsere Stereotypenanalyse jedoch keine Rolle, da wir uns ja mit den gesellschaftlichen Funktionen von Stereotypen beschäftigen.

Allerdings bietet der Wikipedia-Artikel einen Hinweis auf das allgemeine Verständnis von Stereotypen. So wird allgemein ein Stereotyp mit einer ‚falschen‘ Information gleichgesetzt. Dementsprechend wird auch gefordert, diese ‚falschen‘ Informationen zu korrigieren. Mit dieser Forderung werden wir uns auch konfrontiert sehen. Nach dem Lippmanschen Verständnis von Stereotypen ist dies jedoch nicht möglich, da Stereotypen eine allgemeine Orientierungsfunktion haben. Am Beispiel der Flüchtlingskrise wurde gezeigt, dass sowohl positive Stereotype – Flüchtlinge sind hoch motiviert – als auch negative Stereotype – Flüchtlinge sind faul – etwas über die Interessen der Stereotypennutzer aussagten. Beispielsweise ging es darum, das Wahlverhalten zu beeinflussen. Lippmans Darstellung des allgemeinen Stereotypengebrauchs legt nahe, von einem ‚Schlachtfeld der Stereotypen‘ zu sprechen. Eva Hahn gab wiederholt zu bedenken, ob nicht auch wir Stereotypen im Sinne von Vorurteilen benutzen, die ausgemerzt werden müssen. So ließen Stereotypenforscher es häufig an Selbstreflexion vermissen. Bei Lippman geht es nicht um Ausmerzung, vielmehr schlägt er vor, Experten sollten zwischen Stereotypenträgern vermitteln, um die gegenseitige Wahrnehmungsverzerrung zu vermindern, bzw. um Missverständnisse nach Möglichkeit zu vermeiden. Nach dem Verständnis Lippmans funktioniert die Lebenswelt nicht ohne Stereotype.

Zu Lippmans Stereotypen-Begriff: Walter Lippmann und die Stereotypenforschung (Eva Hahn)

Festgestellt wurde, dass wir uns in unserer Definition des Stereotyps auf Personengruppen verengt haben und darauf, dass Stereotypen mit Werturteilen verbunden sind. Die Orientierungsfunktion von Stereotypen, die bei Lippman von großer Bedeutung ist, steht bei uns nicht im Mittelpunkt. Eva fragte, ob wir daraufhin unseren Stereotypenbegriff verändern müssen? Henning betonte, dass Wissenschaft von präzisen Definitionen lebt. In unserem Fall bedeutet eine Aufweichung der Definition auch eine verminderte Erkenntnismöglichkeit. Damit verbunden ist auch, dass bei uns Personen und Personengruppen im Vordergrund stehen. Das können Männer – Frauen, religiöse, konfessionelle Gruppen sein. Letztlich stehen immer Personengruppen im Fokus.

Anschließend wurde längere Zeit noch darüber diskutiert, wo das Stereotyp anfängt, und wo es aufhört. Dies geschah beispielsweise am Beispiel des „pursuit of happiness“ durchexerziert. Letztlich wurde die Diskussion mit der Feststellung beendet, dass Stereotypen:

Über einen längeren Zeitraum wirken müssen.

Sie innerhalb einer größeren Personengruppe bekannt bzw. akzeptiert sein müssen (Diskursbreite)

Mit Emotionen bzw. einer Wertzuschreibung verbunden sein müssen.

Diese wurden auch als „Grundparameter“ bezeichnet.

Eva Hahn gab noch an, dass ihr Verständnis von Stereotypen anders sei. Sie sprach von ‚rhetorischen Formeln‘, die unabhängig vom Benutzer existieren. Sie werden unbewusst z.B. in der Schule aufgenommen. Henning gab darauf zurück, dass nicht jede ‚rhetorische Formel‘ ein Stereotyp sei, sondern das die emotionale Komponente dazu gehöre.


Protokoll zu Vortrag II – Hans Henning Hahn: Ist der Begriff historische Stereotypenforschung notwendig?

Donnerstag, 9. August 2019

Protokoll: Christian Stach

Als Grundlage des Vortrages diente der Aufsatz zur historischen Stereotypenforschung von Hans Henning Hahn.

Im Anschluss an den Vortrag stellte sich die Frage, ob der Ansatz der historischen Stereotypenforschung auch auf aktuelle Stereotypen anwendbar sei. Diese Fragestellung ließe sich mit einem fiktiven Beispiel beantworten:

So könne beispielsweise das Stereotyp „Alle Schweizer sind gute Liebhaber“ das angebliche Ergebnis einer sozialpsychologischen Befragung sein. Für die historische Stereotypenforschung ist dieses Ergebnis nicht verwendbar, da es keine messbare Dauer für das Bestehen dieses Stereotypes gibt. Aktuelle Stereotypen wären somit nicht als historisches Stereotypenphänomenen wahrzunehmen. Jedoch ist dieser Fall nicht als begrenzt zu sehen, da manche Stereotypen grenzübergreifend sind, andere wiederum nicht. Dies hängt im großen Fall von den Diskursnetzwerken ab, in denen sie kommuniziert werden, und welche Ausprägung diese Netzwerke bieten sowie die Dauer der Tradierung selbst.

Dennoch kann ein Bewusstsein für Stereotypen am besten aus historischen Stereotypen generiert werden, um den Bezugsgruppen begreifbar zu machen, dass Stereotypen nicht ein originäres Problem sind. Der Weg dieser Herleitung ist aber als kontraproduktiv zu interpretieren, da in der Wahrnehmung die Historie als Vergangenheit und somit als nicht bedeutsam für das aktuelle Tagesgeschehen gesehen werden kann.

Um ein Stereotyp als historisches Stereotyp zu erfassen, müssen die 5 Ebenen der historischen Stereotypenforschung anwendbar sein.

Es zeigt sich hierbei aber auch, dass nicht jedes historische Stereotyp heutzutage nicht eine Gegenwartsrelevanz aufweist. Sollten historischen Stereotypen heutzutage im alltäglichen Gebrauch sein, so werden diese meist genutzt, ohne dass ihre Genese gekannt wird. Aus diesem Umstand ergibt sich die Aufgabe der historischen Stereotypenforschung, die die Genese des zu untersuchenden Stereotyps untersucht und seine Wirkmächtigkeit sowie seine Verbreitung innerhalb der zu untersuchenden Diskurskreise skizziert.

Die Erfassung der Diskurskreise zeigt, dass Stereotypen auf diese Diskurskreise beschränkt werden. Sollte es zu einer Vermengung unterschiedlicher Diskurskreise kommen, können entsprechende Stereotypen eines Diskurskreises innerhalb des anderen tradiert werden und sich möglicherweise innerhalb des anderen Diskurskreises in neu konnotierter Weise verbreiten

Stereotype haben somit nicht zwangsläufig einen intendierten Charakter und werden bewusst genutzt. Dies ist nicht zuletzt der Funktion des Stereotyps geschuldet, da es als Wahrnehmungslegitimation genutzt wird. Der Glaube an das Stereotyp selbst legitimiert somit seine Verwendung. Auch bei der intendierten Nutzung eines Stereotyps, wie beispielsweise innerhalb der Propaganda bestimmter Systeme, kann die Reproduktion und Nutzung des Stereotyps dafür sorgen, dass der Glauben an das Stereotyp es in eine geglaubte Wahrheit verwandelt.

In mehreren Beispielen wird belegt, dass die Menschen, die Stereotype verbreiten, diese auch glauben. So ist im Fall Joseph Goebbels anhand seiner Tagebücher nachzuvollziehen, dass er um die Wirkmächtigkeit der von ihm verwendeten Stereotype wusste, diese aber auch selber glaubte.

Um historischen Stereotypen zu erfassen und zu erforschen, muss sich die Forschung der Diskursanalyse bedienen. Durch diese methodische Vorgehensweise unterscheidet und legitimiert sich die historische Stereotypenforschung von weiteren wissenschaftlichen Disziplinen, die Stereotypen erforschen. So ist für die Sozialpsychologie die historische Diskursanalyse nicht von weiterem Nutzen, da sie für ihre Forschung aktuelle Daten aus Befragungen erhebt und die Daten aus einer Diskursanalyse für sie keinen relevanten Charakter haben.


Protokoll zum Vortrag ,,Stereotypisierungen von Objekten“
(Matthias Harbeck)

Freitag, 10. August 2019

Protokoll: Rima Chahine

Bei dem obengenannten Vortrag ging es um die visuellen Stereotypen in Comics. Der Referent zeigt allerdings keine klare Meinung. Stattdessen stellt er uns die Frage, ob Objekte (hier in der visuellen Sprache der Comics: Messer, Schlüssel, Blume usw.) Gegenstand von Stereotypisierungen sein können, oder ob es sich hierbei um Übertragungen von Gruppeneigenschaften auf Gegenstände handelt.

Nun fragen wir uns, ob in Plakaten Gegenstände stereotypisiert werden können. Was wird stereotypisiert? Ein Symbol oder eher für was ein Symbol steht? Das Kamel symbolisiert beispielsweise eine ethnische Gruppe nämlich die Araber. Ein Stereotyp steckt in der Verknüpfung, wie ich z.B. über eine Gruppe rede.

In dem Vortrag kommt ein Urteil über Comics vor und zwar ,,Comics sind schmutzig“. Dieser Diskurs ist im deutschen Kreis stärker, man sagt: „Ich bin gebildet; ich lese keine Comics“. Dies ist eine Form von Hierarchie und dahinter steht immer ein Stereotyp. Die Frage „was ist besser oder schlechter“ drückt das Hierarchiegefälle aus.

Also das Kamel repräsentiert die Menschengruppe, die dahintersteht – folglich ist es hier die Menschengruppe, die stereotypisiert wird und das Kamel ist nur das Symbol, womit Assoziationen bezüglich der Menschengruppe assoziiert werden. Ähnlich verhält es sich bei dem Vorwurf, dass Schweine schmutzig seien; das ist auch ein Symbol.

In der Diskussion wurde die Frage gestellte, wie es sich in Bezug auf die Kleidung verhält, die Attribute sind (z.B. das Kopftuch) – wer wird damit stereotypisiert? Und wieder wurde die Schlussfolgerung getätigt, dass der Mensch stereotypisiert wird – die kopftuchtragende Frau wird von einem Großteil unseres Kulturkreises als Muslimin wahrgenommen, auch wenn sie keine Muslimin ist.

Es wurde argumentiert, dass Stereotype uns als Denkschablone dienen, wie es Lippmann in seinem Buch erwähnte, um uns in unserer Welt zurechtzufinden und mit der betrachten wir die Welt. Durch diese Schablonen streiten wir uns. Jedoch finden wir mit der Realität die Konfliktlösung.

Stereotypen sind unsere geistigen Vorstellungen. Wer wird beim Kaffeehaus oder Kamel stereotypisiert? Die Türken und die Araber. Es sind die Kultur und die Menschen, die stereotypisiert werden. Also das Symbol/stereotypisierte Objekt führt uns zu den Menschen. Ist die polnische Wirtschaft ein Stereotyp? Am Ende steht der Mensch dahinter: Die Wirtschaft der polnischen Nation. Die Wirtschaft wird als schlecht eingeordnet, aber die Polen sind die Wirtschafsunfähigen und nicht die Wirtschaft an sich.

Nun erweckt diese Überlegung auch die Frage, ob die Assoziationskette das Stereotyp ist? Wo ist der Ausgangpunkt des Stereotyps? Am Anfang oder am Ende? Wo ist die Grenze eines Stereotyps? Wann wird es harmlos verwendet? Wir sagen die polnische Wirtschaft ist schlecht. Wir meinen vielleicht nicht immer konkret die Polen, aber durch den Diskurs wird die Assoziation gezogen, dass die Polen schlecht sind. Wir können die Stereotype durch die narrative Struktur verstehen. Die Stereotype existieren im Diskurs und werden auch unbewusst von den Leuten verwendet, die es nicht als Stereotyp erkennen, sondern als Abbildung der Realität verstehen. Welche Funktionen Stereotype haben und wie oft die Stereotype auftauchen, sind Fragen, die zu beantworten, Aufgabe der Forscher ist.

In dem Zusammenhang trat erneut die Frage aus, wie nun also Stereotyp und Gegenstände/ Objekte in Comics in Bezug zueinander stehen und Stereotype definiert werden: Die Funktion und die Geschichte eines Objekts müssen untersucht werden. Mit einem Gegenstand wird ein Mensch bzw. Menschengruppe gemeint. Wenn beispielsweise die Äußerung getätigt wird, dass Comics schlechten Einfluss auf Kinder hätten, dann handelt es sich zunächst um eine Hierarchisierung: Schlechte Bücher vs. gute Bücher. Die Waffen (als Objekt) in Comics, unabhängig davon, wie sie dargestellt werden, sind keine Stereotype, sondern Symbole. Erst durch die Kontextualisierung des Comics wird eine Assoziation geschaffen, die allerdings mit der dahinterstehenden Figurengruppe assoziiert wird. Ein narrativer Kontext gehört zum Stereotyp. Es funktioniert über den Kontext. Jedes Stereotyp braucht die Narration, entweder lesbar oder nicht lesbar.

Wie weit sind die Experten von Stereotypen beeinflusst? Z. B. sind Wirtschaftler bei Brexit-Debatte nicht objektiv. Jeder Wirtschaftler kennt Stereotype, die Frage ist aber, ob er sie verwendet.

Die Antwort auf Matthias Harbecks Frage „ob Objekte Gegenstand von Stereotypisierungen sein können, oder ob es sich hierbei dann um Übertragungen von Gruppeneigenschaften auf Gegenstände handelt“ lautet: Es geht um den Kontext. Ja, Gegenstände können von Stereotypen aufgeladen werden, aber nur über einen narrativen Kontext. Zunächst sind sie Symbole und werden durch die Übertragung von Gruppeneigenschaften stereotypisiert bzw. emotional aufgeladen. Aber nur durch den narrativen Kontext kann das Symbol stereotypisiert und das Stereotyp dahinter verstanden werden. Bei dem Stereotyp handelt es sich aber um die Menschengruppe. Es funktioniert nur wenn das Stereotyp schon im Kopf steht. Der Diskurs muss existieren, nur dann versteht man das Stereotyp.

Die Kontinuität der Stereotypen befindet sich in mental maps. Sie sind quasi tragende Säulen des Stereotyps.

Auch eine Landschaft kann ein Stereotyp sein – „Die Wüste ist herrenlos“ ist ein Stereotyp über die Menschen, die angeblich nicht existieren.

Kein Benutzer des Stereotyps weiß, dass er Stereotypen benutzt. Nur Forscher wissen das.

Am Ende der Diskussion wurde noch die Frage aufgeworfen, wann Stereotype verschwinden und wann sie hervorgehoben werden. Hier wären zum Beispiel Kriege zu nennen, in denen die Stereotype, die vergessen schienen, zum Teil im Diskurs wiederbelebt werden.