Religion als Bedrohung oder Hafen – religiöse Stereotypen in medialen Vermittlungen des 20. Jahrhundert

14. – 16. November 2018

Gefördert im Rahmen des Programms Pro*Niedersachsen vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur

Organisatoren:

Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Universität Oldenburg; Arbeitsstelle Historische Stereotypenforschung im Institut für Geschichte der Universität Oldenburg; Herausgeberkreis Contemporary Church History / Kirchliche Zeitgeschichte – Internationale Zeitschrift für Theologie und Geschichtswissenschaft


Tagungsbericht:

Autoren:

Beata Lakeberg, Institut für Zeitgeschichte, München (lakeberg@ifz-muenchen.de)

Hans-Christian Petersen, Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Oldenburg (hans-christian.petersen@uni-oldenburg.de)

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Die Konferenz Religion als Hafen oder Bedrohung – Religiöse Stereotypen in der medialen Vermittlung des 20. Jahrhunderts widmete sich der Rolle religiöser Stereotypen im Prozess der Formierung von Selbst- und Fremdbildern religiöser und konfessioneller Gemeinschaften. Die Fragen nach Bedeutung und Wirkung religiöser Stereotypen, ihre historische Prägung sowie die Beziehung zu nationalen Stereotypen wurde in den über 20 Beiträgen, verteilt auf 5 Sektionen, von Vertreter*innen der Religionswissenschaften, der Geschichtswissenschaft sowie der Kommunikations- und Politikwissenschaften thematisiert.

Nach einleitenden Grußworten von Andrea Strübind (Oldenburg), Joachim Willems (Oldenburg) und Rabbiner Jona Simon (Jüdische Gemeinde zu Oldenburg) skizzierte Hans Henning Hahn (Oldenburg) in seinem Eröffnungsvortrag grundlegende begriffliche und methodische Fragen der Historischen Stereotypenforschung. Er unterstrich die enge Wechselwirkung zwischen Auto- und Heterostreotypen, und dass Stereotype keine Auskunft über die Realität des beschriebenen Objekts, sondern über die Weltsicht derjenigen gäben, die sie verwenden. Es handele sich um „Diskursphänome“, die „identitätsrelevant“ seien. Gerade bei den monotheistischen Religionen hätten viele Selbst- und Fremdzuschreibungen einen stereotypen Charakter, und zugleich träten sie in der Regel als Mischformen auf, indem etwa konfessionelle und nationale Zuschreibungen miteinander kombiniert würden. Solche Funktionen religiöser Stereotypen, ihren ständigen und dynamischen Wandel, aufzuzeigen, stelle das zentrale Anliegen der Tagung dar.

Den visuellen Stereotypen in der Werbekunst des 20. Jahrhunderts und ihren religiösen und politischen Funktionen widmete sich Rima Chahine (Oldenburg/Damaskus). Sie unterstrich, dass Werbeplakate eine wichtige Quelle der Stereotypenforschung seien, da sie häufig mit Stereotypen arbeiteten und zugleich eine große Breitenwirkung entfalteten. Stereotypen trügen erheblich zur Wirkungssteigerung von Werbung bei. Am Beispiel der Islam-Stereotypen in der Werbekunst des 20. Jh. zeigte Chahine, wie die kulturellen Beziehungen zwischen „westlicher“ und „islamischer“ Welt rekonstruiert werden können, da die Massenmedien und Public Art wichtige Faktor in der Gestaltung dieser Beziehungen seien.

Rima Chahine; Foto: Christoph Kienemann

Das Islambild in den Massenmedien untersuchte ebenfalls Anne Grüne (Erfurt). Sie bemerkte, dass zwar gravierende Veränderungen des Islambildes nach 9/11 bemerkbar seien, dass aber die eigentliche Wende bereits in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre während der Islamischen Revolution im Iran erfolgt sei. Die Tendenzen in der Gestaltung des Islambildes würden seit dieser Zeit immer deutlicher: Es würden die Untrennbarkeit von Politik und Religion, der Fundamentalismus, eine feindliche Einstellung gegenüber dem Westen und eine angebliche Einheitlichkeit der islamischen Welt unterstrichen. Dieses negative westliche Islambild werde hierbei maßgeblich durch Visualisierungen verstärkt.

In der Diskussion wurde erneut auf das Verhältnis zwischen Auto- und Heterostereotypen hingewiesen. Da es anscheinend keine grundlegenden Unterschiede im Islambild rechts- und linksorientierter Medien gebe, stelle sich die Frage, was dieser Umstand für das jeweilige Autostereotyp bedeute. Ein weiterer Punkt, der in diesem Kontext genannt wurde, ist die Frage nach den Machtverhältnissen in den Diskursen, ihren Wandlungen, und welchen Einfluss dies auf die Verwendung von Stereotypen hatte (und hat).

Die zweite Sektion widmete sich der Thematik Auto- und Heterostereotypen in der Binnendifferenzierung monotheistischer Religionen. Stephan Scholz (Oldenburg) untersuchte die Verwendung religiöser Stereotypen in der Berichterstattung zum spanischen Bürgerkrieg (1936 – 1939). Die spanische Republik wurde vom nationalistischen Lager als antikatholisch, kommunistisch und verbrecherisch geschildert, wodurch nicht nur Francos Putsch generell legitimiert werden sollte, sondern die Falangisten sich zugleich auch als Kämpfer gegen Atheismus und Materialismus darstellten. Das negative Bild der Republik wurde nicht nur in der Propaganda der Frankisten verbreitet, sondern es wurde auch in NS-Deutschland reproduziert, ungeachtet der Tatsache, dass dort die katholische Kirche ebenfalls angefeindet wurde. Dies zeige, so Scholz, dass die verwendeten Stereotypen nicht nur spanische, sondern auch europäische Dimensionen hatten, was ohne Zweifel mit der Entwicklung des Konflikts zu tun hatte.

Dem Wandel des Stereotyps des sogenannten Sektierers in den sowjetischen und russischen Medien – vom Verbündeten der Deutschen und damit einem Feind des Russischen Reiches in der Zeit des Ersten Weltkriegs, Klassenfeind und Gegner des sowjetischen Staates in den 1930er und 1950er Jahren bis zum gegenwärtigen Film „Sekte und falsche Propheten. Kult des Bargeldes“ – widmeten sich Nadezhda Beljakova (Moskau) und Johannes Dyck (Bonn). Sie zeigten dabei, dass mit dem Wandel des Stereotyps auch eine Änderung der Definition des Begriffs „Sekte“ einherging. Der Mangel an einer präzisen Definition vereinfache hierbei die Verwendung des Stereotyps.

Vanessa Walker (Osnabrück) stellte anhand der Analyse der verwendeten Auto- und Heterostereotypen von „Sufis“ und „Salafis“ spezifische Abgrenzungsmechanismen innerhalb des Islams vor. Dabei machte sie deutlich, dass sich die Auto- und Heterostereotypen auf beiden Seiten ähneln: Man sehe sich selbst als „wahre Gläubige“, die Anderen hingegen jeweils als „schwarze Schafe“.

Im Abendvortrag lenkte Martina Thiele (Salzburg) die Aufmerksamkeit auf aktuelle politische Entwicklungen, indem sie die Verwendung religiöser Stereotype in der öffentlichen Kommunikation rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen im deutschsprachigen Raum untersuchte. Sie bemerkte, dass rechtspopulistische Parteien zwar oft etablierte Medien pauschal kritisierten, dass zugleich aber eine große mediale Präsenz rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen zu beobachten sei. An mehreren Fallbeispielen – Debatten um Mohammed-Karikaturen, Präsenz des Kruzifixes in öffentlichen Gebäuden, Moscheenbau, Frauenrechte – machte Martina Thiele auf einige Merkmale rechtsextremer Parteien und Bewegungen aufmerksam. Dazu gehören Islamfeindlichkeit und Antisemitismus, wobei offener Antisemitismus eher vermieden und stattdessen auf den Antisemitismus „der“ Muslime verwiesen werde, was die Islamfeindlichkeit noch verstärke. Im Diskurs der Rechtspopulisten werde oft auf christliche Symbole zurückgegriffen, obwohl damit kein Bekenntnis zum Christentum verbunden sei, ähnlich wie auch liberale Positionen vereinnahmt (z.B. Gleichberechtigung von Frauen und Männern oder Schutz von Minderheiten) und in der Argumentation verwendet würden. Thiele wies auf die Instrumentalisierung religiöser Stereotype von rechtspopulistischer Seite hin, da man sich deren Wirkung sehr bewusst sei.

Am zweiten Konferenztag widmeten sich zunächst Christoph Kienemann (Oldenburg) und Tobias Weger (München) den Fragen der Korrelation zwischen nationalen und religiösen Stereotypen am Beispiel der katholischen Kirche. Kienemann skizzierte zunächst die die Unterschiede im Polenbild der deutschen Katholiken und Protestanten, die im Zuge des Kulturkampfes während des deutschen Kaiserreichs aufgetaucht seien. Im Laufe des Ersten Weltkriegs und in der Zeit der Entstehung der Zweiten Polnischen Republik sei es dann zu Veränderungen im Polenbild der deutschen Katholiken gekommen, das sich jenem der Protestanten angenähert habe. Dahinter habe die Niederlage des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg gestanden, angesichts derer die Absicherung einer „deutschen Identität“ als vordergründig angesehen wurde, während die die konfessionellen Unterschiede an Bedeutung verloren hätten. Es sei nun stärker der kolonialistische Blick auf den vermeintlich rückständigen „Osten“ übernommen worden, der ohne „deutsche Führung“ nicht überlebensfähig sei. Tobias Weger widmete sich anschließend dem Bereich der innerkonfessionellen Stereotypisierungen. Er hinterfragte Auffassungen, wie sie nicht zuletzt von Max Weber geprägt worden sind, nach denen die römisch-katholische Kirche als hierarchisch aufgebaute Struktur mit einem weltumspannenden Charakter ein homogenes Gebilde darstelle. Anhand zahlreicher Beispiele, wie etwa dem Blick deutscher Katholiken auf die vermeintlich frommen, aber auch rückständigen polnischen Glaubensbrüder und -schwestern, oder der Annahme polnisch-katholischer Laien, dass es sich bei den in den östlichen Beskiden beheimateten, griechisch-katholischen Lemken um ‚verkappte Ukrainer‘ handele, zeigte er demgegenüber auf, dass die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche nicht vor der Stereotypisierung anderer Katholiken immunisierte, und dass hierbei nationalen Abgrenzungen eine wichtige Rolle zukam.

Die Beiträge dieser Sektion führten zur Frage nach dem Spezifischen religiöser Stereotypen und nach der Diskursdominanz. Es ließ sich festhalten, dass religiöse Stereotypen immer mit der Frage nach dem „wahren Gott“ und dem „richtigen Gläubigen“ verbunden sind. Des Weiteren ist zu bemerken, dass religiöse Stereotype in aller Regel nicht isoliert vorkommen, sondern in Verbindung mit nationalen oder regionalen Stereotypen auftreten und hierdurch noch verstärkt werden.

Tillmann Hannemann (Oldenburg) beleuchtete anschließend das akademische Stereotyp der „verpassten Aufklärung“ im Islam. Anhand der Schriften des Orientalisten Heinrich Steiner, Ernest Renan, Joseph Schacht und anderer zeigte er, wie das westliche Autostereotyp des „aufgeklärten Europa“ in einer engen Wechselwirkung mit der Charakterisierung „des“ Islam als fortschrittsfeindlich stehe. Diese dichotome Sichtweise prägte, so Hannemann, auch große Teile der islamwissenschaftlichen Historiographie. Entwicklungen eines theologischen Rationalismus im Islam, wie sie etwa die Mu’tazila (9. – 11. Jh.) vertraten, seien hingegen marginalisiert worden. Hannemann forderte eine Überwindung solch stereotypisierender Sichtweisen und plädierte für einen Dialog auf Augenhöhe.

Joachim Tautz (Oldenburg) untersuchte in seinem Beitrag innerjüdische Stereotype am Beispiel des Begriffs und des Bildes der „Ostjuden“ in der deutschen, jüdischen Organisationspublizistik. In den Veröffentlichungen des „Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, der größten jüdischen Vereinigung im Deutschen Reich, habe eine strikte West-Ost-Dichotomie dominiert, der zufolge die „Ostjuden“ als „kulturlos“ charakterisiert worden seien. Es sei an ihnen, sich der „höheren“ westlichen Kultur anzupassen, sie müssten „deutsch“ werden. Noch einmal deutlich ablehnender habe sich der „Verband nationaldeutscher Juden“ positioniert: Er habe die „Ostjuden“ als „Fremde“, als „orientalisch“ und als „Schacherer“ betrachtet, womit auch alte, antijüdische Stereotype aufgegriffen worden seien. Eine entgegengesetzte Haltung habe demgegenüber die „Zionistische Vereinigung für Deutschland“ eingenommen: Sie hätte an die Migrationsgeschichte der aus dem östlichen Europa kommenden Juden und Jüdinnen angeknüpft und sei dementsprechend davon ausgegangen, dass sie „zu uns gehören“ und für die Sache der Gründung eines jüdischen Nationalstaates zu gewinnen seien. Insgesamt spielten also, so Tautz, Stereotype auch im innerjüdischen Diskurs eine zentrale Rolle. Es lasse sich ein Transfer von Stereotypen der Mehrheitsgesellschaft durch die bezeichnete Gruppe auf einen Teil von ihr konstatieren.

Anschließend nahm Robert E. Ericksen (Tacoma, WA) den Einfluss religiöser Stereotypen auf die Politik in den USA am Beispiel des American Bible Belt in den Blick. In einer zeitlichen Perspektive von den 1960er Jahren bis zur Wahl Donald Trumps im Jahr 2016 zeigte er auf, wie eng die Bindung zwischen einer evangelikalen Wählerschaft und der Republikanischen Partei aufgrund gemeinsam geteilter Werte und Glaubenssätze sei. Dieses Bündnis halte unvermindert an, ungeachtet der Tatsache, dass der derzeitige amerikanische Präsident alles andere als eine Verkörperung dieser Werte sei. Den evangelikalen Wählern und Wählerinnen sei dieser Widerspruch bewusst, sie erhofften sich von Trump aber dennoch die Durchsetzung bestimmter, fundamentalistischer Positionen.

Die dritte Sektion widmete sich religiösen Stereotypen in fiktionalen Darstellungen und Verschwörungstheorien. Viktor Schnirelman (Moskau) zeigte am Beispiel des zeitgenössischen Diskurses in Russland, welche zentrale Bedeutung antijüdischen Stereotypen und Verschwörungstheorien seit den 1990er Jahren im Kontext der Russisch-Orthodoxen Kirche zukomme. Dem Stereotyp der jüdischen Weltverschwörung („Protokolle der Weisen von Zion“) und dem damit verbundenen Bild der Entchristianisierung des Westens werde die Orthodoxe Kirche in Russland als Gegengewicht und als Hüterin konservativer Werte gegenübergestellt. Eine Person wie Alexander Dugin mit dem von ihm vertretenen Konzept des Neo-Eurasismus stelle hierbei ein wichtiges Bindeglied zur regen Rezeption in rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen in Westeuropa dar.

Der Frage nach der Verbreitung antijüdischer Stereotype im Islam wandten sich die folgenden beiden Beträge zu. Martin Kloke (Berlin) unterstrich die zentrale Funktion des Judenhasses für die Ideologie fundamentalistischer bzw. islamistischer Gruppen wie der Muslimbruderschaft oder der Hamas. Die Verbreitung und Wirkung der „Protokolle der Weisen von Zion“ unter diesen Gruppierungen verweise hierbei auf die Verflechtungen mit dem europäischen Antisemitismus. Diese Verbindung sei hierbei nicht zuletzt deshalb so wirkungsmächtig, weil sie unbestimmt und vage sei, weshalb sich unterschiedlichste Gruppen adressiert fühlen könnten. Als Gegenmaßnahmen gegen diesen zunehmenden Antisemitismus plädierte Klocke für eine Kombination aus Aufklärung und sozialer Ächtung. Dies gelte auch und gerade „in Zeiten eines faktenresistenten Rechtspopulismus“.

Martin Kloke, Foto: Christoph Kienemann

Vanessa Walker (Osnabrück) widmete sich in ihrem Beitrag der frühislamischen Person ´Abdullah b. Saba (7. Jh.) und zeigte, wie es im 20. Jahrhundert zur Integration des alten Mythos‘ – ´Abdullah b. Saba als jüdische Konvertit und zugleich als Schuldiger an der Spaltung der Muslime während der ersten Fitna (656 – 661) – in die moderne Verschwörungstheorie gekommen sei. Der Zionismus und die Gründung des Staates Israel hätten zur Verbindung von antisemitischen Verschwörungstheorien aus Europa und einem alten Mythos geführt. Damit sei das negative Bild um eine zusätzliche Komponente – Juden als Zerstörer der Einigkeit des Islams – erweitert worden.

Das Bild des Heavy Metal als Musik des Satans untersuchte Christin Hansen (Regensburg). Die Genese dieses Bildes, das kein religiöser Stereotyp sensu stricto, sondern an Religion angelehnt sei, sei in der Entstehungsgeschichte des Heavy Metal zu suchen. Die Musik würde von jungen Menschen für junge Menschen als Ausdruck der Rebellion gegen die Lebensweise der Elterngeneration gemacht. Diesen Verhaltenswechsel unter den Jugendlichen erkläre die ältere Generation mit Hilfe des Bildes vom Heavy Metal als Musik des Satans, die die Jugend zum Aufstand verführe.

Die Entwicklung antisemitischer und islamophober Verschwörungstheorien zu Weltherrschaftsphantasien stand in einer vergleichenden Perspektive im Mittelpunkt des Abendvortrags von Farid Hafez (Salzburg). Während es in antisemitischen Verschwörungstheorien den Topos des jüdischen Strebens nach der Weltherrschaft gebe, so nehme in islamophoben Verschwörungstheorien die vermeintliche Absichten, die westliche Welt zu zerstören und zu islamisieren, eine zentrale Funktion ein. Beide kulturalistischen Zuschreibungen, so Hafez, seien für eine neue Form des Rassismus typisch seien. Zudem ließen sich weitere Parallelen erkennen: Sowohl Juden als auch Muslime würden in Verschwörungstheorien als eine omnipotente Masse dargestellt, die intelligent und mächtig ist. Am Beispiel der „White Sharia Now“-Kampagne in den USA und der Anti-Soros-Kampagne in Ungarn zeigte Hafez, dass sich nicht nur die Bilder der Juden und Moslems in den Verschwörungstheorien annähern würden, sondern beiden Gruppen sogar eine Zusammenarbeit unterstellt werde.

Die vierte Sektion befasste sich mit der didaktischen Dimension religiöser Stereotypen. Die beiden Referenten Manuel Junge (Osnabrück) und Joachim Willems (Oldenburg) benutzten Schulbücher als Quellen für ihre Untersuchungen. Manuel Junge verglich deutsche Lesebücher im Zeitraum von 1935 bis 1964/65 hinsichtlich des in ihnen präsentierten Islambilds. So habe in der NS-Zeit ein Bild der Muslime als Plünderer, Mörder und Brandstifter dominiert, die in steinigen, wüsten oder kargen Gebieten lebten. Solche Bilder seien als Gegenpart zum Selbstbild der Deutschen als ‚Kulturträger‘ präsentiert worden. In der BRD und DDR habe sich das Bild der Muslime zum Positiven gewandelt, wobei dies auf unterschiedliche Art und Weise ausgedrückt worden sei. In den westdeutschen Lesebüchern seien Muslime als Helden des Alltags, als bewährte und erprobte Freunde dargestellt worden. In der DDR dagegen habe das positive Bild in direkter Verbindung mit dem Aufbau der Sozialismus gestanden. Es seien sowohl die Modernisierung und Bewältigung der Rückständigkeit unter den Muslimen in Zentralasien, als auch antikolonialen Bewegungen in Nahen Osten und Nordafrika gelobt worden. Joachim Willems verglich anschließend die protestantischen Auto- und Heterostereotypen in den Religionsschulbüchern in Deutschland. Dabei konzentrierte er sich überwiegend auf die Darstellung des Islams. Der Islam werde als eine fundamentalistische, rückständige Religion beschrieben, die ungeeignet für westeuropäische Verhältnisse sei. Moslems würden dabei als Ausländer und Fremde gezeigt, die zur Integration aufgefordert würden. Im Gegensatz dazu werde der Protestantismus bzw. das Christentum insgesamt als eine fortschrittliche, weltoffene Religion eines barmherzigen Gottes präsentiert.

Religiöse Stereotype in Schulbüchern, Foto: Christoph Kienemann

Der Frage „Wie kann man Religion untersuchen?“ widmete sich die Ausstellung „Religion in Ex- Position“, die an der Universität in Heidelberg von Studierenden konzipiert wurde. Carina Branković (Oldenburg) und Simone Heidbrink (Karlsruhe) bezeichneten es als Ziel der Ausstellung, die unterschiedlichen Bezüge zur Religion zum Vorschein zu bringen und die Assoziationen der Besucher und Besucherinnen zu einzelnen Objekten mit religiösem Bezug zu sammeln und auszuwerten.

In der darauffolgenden Diskussion wurde angemerkt, dass es trotz durchdachter Konzepte und entsprechender didaktischer Aufbereitung der Schulbücher doch immer wieder zur unreflektierten Verwendung von Stereotypen komme. Es wurde die Frage gestellt, ob ein stereotypenfreier Unterricht überhaupt möglich sei. Diese Frage ließ sich nicht eindeutig beantworten, allerding wurde bemerkt, dass es Bereiche gebe, in denen Stereotype scheinbar unvermeidlich seien, z.B. in der Werbung.

Thema der fünften und abschließenden Sektion waren religiös konnotierte Genderstereotypen. Andrea Strübind (Oldenburg) untersuchte Genderstereotypen während der Bürgerrechtsbewegung in den USA am Beispiel der medialen Vermittlung der Geschichte von Rosa Parks, Elizabeth Eckford und Mamie Till-Mobley. Die Frauen seien weitgehend in ihrer traditionellen Rolle als Mutter und Hausfrau dargestellt worden. Bei Fotografien sei dabei häufig auf eine christliche Ikonographie zurückgegriffen worden. Die innovative Verwendung der Bilder, in denen das Leiden der Frauen hervorgehoben wurde, habe die Frauen jedoch zugleich zu Ikonen der Bürgerbewegung gemacht und habe zum Umdenken in der Gesellschaft geführt. Dieses Beispiel zeigt, wie Stereotypen auch verwendet werden können, um eine emanzipatorische Bewegung zu unterstützen.

Andrea Strübind, Foto: Christoph Kienemann

Die Bedeutung des Stereotyps der Frauen des Propheten Mohammed (insbesondere Aischa) für die moderne islamische Identität stellte Friederike Schulze-Marmeling (Oldenburg) vor. Durch die Darstellung Aischas als Unterstützerin der Revolution, aktive Akteurin in der Politik und zugleich als „Lieblingsfrau des Propheten“ werde einerseits ein „eigener Weg“ der islamischen Frauen propagiert, der nicht die westlichen Ideen von Liebe und Partnerschaft reproduziere, andererseits komme es zur Korrektur der westlichen Stereotypen der islamischen Frauen.

Dem christlichen Sektendiskurs und dem dort verwendeten Frauenbild widmete sich Katharina Neef (Chemnitz). Sie unterstrich, dass Frauen in religiösen Gruppen viel präsenter seien als Männer. Zugleich würden Frauen oft als Opfer der Sekten dargestellt und ihr Missbrauch medial skandalisiert. Auch in den Fällen, in denen die Frauen Täterinnen seien, würden sie im Diskurs oft als Opfer der „eigenen Beschränktheit“ dargestellt.

Insgesamt zeigte die Konferenz die anhaltend große Relevanz der Erforschung religiöser Stereotype. In der Abschlussdiskussion wurden zugleich nach wie vor bestehende, wichtige Forschungsdesiderata benannt. Dazu gehörten unter anderem die Frage nach der Spezifik religiöser Stereotype und ihres Zusammenhangs mit nationalen Stereotypen, die Bedeutung religiöser Stereotypen für Prozesse der Identitätskonstruktion, die Wirkung religiöser Stereotypen in der heutigen Gesellschaft, in der die Bedeutung des Faktors „Religion“ abnimmt, sowie die Wirkung religiösen Stereotype im Kontext von Islamophobie. Gleichzeitig wurde die Frage gestellt, inwieweit ein stereotypenfreier Umgang in der Publizistik möglich ist. Stereotype sind oft unvermeidbar, weshalb es wichtig ist, sie zu thematisieren und die Gesellschaft zu sensibilisieren. Der Wissenschaft kommt hierbei die Aufgabe der Analyse zu.


Programm:

Mittwoch, 14.11.2018

13:30 – 14:00
Einführung: Andrea Strübind, Tobias Weger, Joachim Willems
Grußwort Rabbiner Jona Simon (Jüdische Gemeinde zu Oldenburg)

14:00 – 16:00
1. Sektion: Stereotypenforschung und Religion. Methodische Überlegungen:
Hans Henning Hahn, Oldenburg: Geschichts- und kulturwissenschaftliche Ansätze der Erforschung religiöser und konfessioneller Stereotypen
Rima Chahine, Oldenburg: Visuelle religiöse Stereotypen in der Werbekunst des 20. Jahrhunderts
Anne Grüne, Erfurt: Das Islambild in den deutschen Massenmedien

16:30 – 18:30
2. Sektion: Auto- und Heterostereotypen in der Binnendifferenzierung monotheistischer Religionen
Stephan Scholz, Oldenburg: Religiöse Stereotypen in der publizistischen Auseinandersetzung um den Spanischen Bürgerkrieg (1936-39)
Nadezhda Beljakova, Moskau & Johannes Dyck, Bonn: Die Stereotypen der Sekte und der Sektierer in den sowjetischen und russischen Massenmedien: Archetyp und die Evolution des Bildes im Laufe des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts
Bacem Dziri & Vanessa Walker, Osnabrück: „Sufis“ und „Salafis“ in auto- und heterostereotyper Selbst- und Fremdabgrenzung

19:30 Uhr
BIS-Saal: Abendvortrag
Martina Thiele, Salzburg: Religiöse Stereotype in der öffentlichen Kommunikation rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen

 

Donnerstag, 15.11.2018

8:30 – 10:30
2. Sektion: Auto- und Heterostereotypen in der Binnendifferenzierung monotheistischer Religionen (Fortsetzung)
Christoph Kienemann, Oldenburg: Aus dem Abseits in den Mainstream? Der Wandel des Polenbildes der deutschen Katholiken am Anfang des 20. Jahrhunderts
Gerhard Besier, Dresden: Churches and „sects” – mutual stereotypes and prejudices during the Weimar Republic (1918-1933) and the German government’s role (ausgefallen)
Tobias Weger, Oldenburg: Nation und/oder Kirche? Katholische Kirche(n) seit 1945 im Lichte der Historischen Stereotypenforschung

11:00 – 13:00
Fortsetzung
Tilman Hannemann, Uni: Der Islam und die verpasste Aufklärung. Karrieren eines akademischen Stereotyps
Joachim Tautz, Oldenburg: Innerjüdische Stereotype – Das Bild der osteuropäische Juden in der deutschen jüdischen Organisationspublizistik: Verband nationaldeutscher Juden, Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, Zionistische Vereinigung für Deutschland
Robert P. Ericksen, Tacoma, WA/ USA: Stereotypes, Politics, and Religion in the American Bible Belt, 1960-2017

14:00 – 15:30
3. Sektion: Religiöse Stereotypen in fiktionalen Darstellungen und Verschwörungstheorien
Viktor Schnirelman, Moskau: Russian Orthodoxy and Conspiracy Theory: A Contemporary Discourse
Martin Kloke, Berlin: Antijüdische Verschwörungsideologien in religiösen Diskursen: Genese, Verbreitung und Therapiechancen eines
kollektiven Ressentiments

16:00 – 17:30
Fortsetzung
Bacem Dziri & Vanessa Walker, Osnabrück: Die moderne Karriere eines antiken Ketzers – AntisemitischeStereotypisierungen ʿAbdullāh b. Sabaʿs im 20. Jahrhundert
Christin Hansen, Regensburg: „Blow your Trumpets Gabriel“ – Der Heavy Metal und die Frage des Satanismus

19:30 Uhr
BIS-Saal: Abendvortrag
Farid Hafez, Salzburg: Antisemitische und islamophobe Verschwörungstheorien zu Weltherrschaftsfantasien. Eine vergleichende Perspektive

 

Freitag, 16.11.2018

8:30-10:30
4. Sektion: Didaktische Dimension religiöser Stereotypen
Manuel Junge, Osnabrück: Der Islam als Bedrohung und als Hafen. Eine Untersuchung deutscher Lesebücher für den Literaturunterricht 1935-1964/65
Joachim Willems, Oldenburg: „Zweifel unerlaubt! Zweifel unerlaubt?“ – Der Zusammenhang von protestantischen Autostereotypen und Heterostereotypen in Schulbüchern
Carina Branković, Oldenburg & Simone Heidbrink, Karlsruhe: Die Ausstellung „Religion in Ex-Position“. Darstellung religiöser Selbst- und Fremdbilder zwischen Identität, Aneignung und Abgrenzung

11:00-12:30
5. Sektion: Religiös konnotierte Genderstereotypen
Andrea Strübind, Oldenburg: Genderstereotype in der medialen Vermittlung der klassischen Phase der Bürgerrechtsbewegung in den USA
Elke Pahud de Mortanges, Freiburg i. Br./ Fribourg, Schweiz: Kopftuch und Burka als islamisches Unterdrückungs-Stereotyp heute Mittagessen (ausgefallen)
(b.w.)

13:30-15:00
Fortsetzung
Friederike Schulze-Marmeling, Oldenburg: Autostereotype muslimischer Frauen im Spiegel der Rezeption von Aischa, der ‚Lieblingsfrau‘ des Propheten
Katharina Neef, Chemnitz: Weibliche Opfer, männliche Täter? Geschlechterrollen im Sektendiskurs

15:00 – 16:00
Abschlussdiskussion

 

 

Hintergrund:

Die wechselseitige Wahrnehmung unterschiedlicher Religionen und Konfessionen bzw. religiöser Gruppen ist ein interdisziplinäres Anliegen, dem sich die Forschung in komparativer Weise und mehrere Fachwissenschaften einbeziehend bisher kaum gewidmet hat. Die Konferenz setzt sich zum Ziel, Ansätze der Historischen Stereotypenforschung mit religionswissenschaftlichen und kirchenhistorischen Perspektiven ins Gespräch zu bringen. Dabei handelt es sich um religiöse und konfessionelle Stereotypen – also um Heterostereotypen (Fremdbilder) und Autostereotypen (Selbstbilder) religiöser und konfessioneller Gruppen. Die Konferenz konzentriert sich auf die Rolle von Stereotypen der drei monotheistischen Religionen Christentum, Islam und Judentum samt all ihren Binnendifferenzierungen, auf das 20. Jahrhundert und auf die mediale Vermittlung (im breiteren Sinn des Wortes Medium) der Stereotypen. Thematisiert sollen nicht nur die Beschreibung stereotyper Selbst- und Fremdwahrnehmungen werden, sondern es sind gleichzeitig funktionale, analytische Fragen zu stellen. Die Frage nach einer möglichen Funktion von Stereotypen zur Stabilisierung von Gruppenidentitäten (z. B. Nationen) sollte analog auch im Bereich der Wahrnehmungen von Religionen und Konfessionen und ihrer Institutionen gestellt werden. Es geht also um die Identitätsrelevanz religiös konnotierter Stereotypen ebenso wie um das Verhältnis von Hetero- und Autostereotypen in diesem Bereich. Da religiöse Stereotypen kaum isoliert existieren, sind natürlich dabei auch die Interferenzen zwischen Religion/Konfession und Kultur, Politik und Nation zu untersuchen.

Die Relevanz des Themas für interreligiöse, interkonfessionelle und interkulturelle Beziehungen liegt auf der Hand und sollte auch thematisiert werden. Dabei wird vorgeschlagen, von einem Verständnis von Stereotypen als emotional aufgeladene Verallgemeinerungen auszugehen und auf dieser Basis die aus- und abgrenzenden Funktionen zu untersuchen.

Konferenzsprache ist Deutsch. Referate können auch auf Englisch gehalten werden. Das zumindest passive Verständnis des Deutschen wird vorausgesetzt (Simultanübersetzung ist nicht vorgesehen).

Die Beiträge werden anschließend in der internationalen Zeitschrift: Contemporary Church History / Kirchliche Zeitgeschichte veröffentlicht.